Mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, dann viele Fragen gestellt: 600 Schüler [u.a. unsere Realschüler im Aurain] erlebten im Bietigheimer Kronenzentrum Michael Blume, den Antisemitismusbeauftragten des Landes.
Die Bedeutung dieser schulischen Veranstaltung, bei der Blume „Einblicke in seine Arbeit und das Thema Antisemitismus geben“ sollte, unterstrich Bürgermeister Michael Hanus in seiner Begrüßung: „Wachsender Antisemitismus und der mutige und engagierte Einsatz dagegen" habe „leider aktuelle Bedeutung". Judenhass trete „zunehmend offen zu Tage, in Sozialen Medien, auf Demonstrationen, Schulhöfen, in der Mitte der Gesellschaft". Es sei „unsere gemeinsame Aufgabe, hinzuschauen, Haltung zu zeigen und nicht zu schweigen".
Blume, der mit starkem Beifall begrüßt wurde, schuf mit seiner ruhigen, warmherzig-freundlichen Art gebannte Aufmerksamkeit im Saal. Dabei machte er vorneweg deutlich, dass er die Thematik in einem weiten Horizont betrachtet: „Wir haben nur eine einzige Entscheidung zu treffen: Entweder wir schaffen eine Gesellschalt, in der es okay ist, dass Menschen christlich, jüdisch, muslimisch, jesidisch, anders oder nicht religiös sind, oder wir schaffen es nicht. Es gibt keine Menschenwürde erster und zweiter Klasse.“
Dass das für ihn nicht einfach ein Postulat ist, sondern gelebtes Leben, wurde unmittelbar greifbar, als er seine Vita skizzierte und sich als „evangelischer Christ“ vorstellte, „seit 30 Jahren mit einer Muslimin verheiratet, Vater von drei Kindern“. Von überragender Bedeutung in der späteren 40-minütigen Fragerunde war sein Hinweis, dass er 2015/16 im Auftrag der Landesregierung „tausend jesidische Frauen und Kinder aus dem Irak geholt“ hatte, „die Gewalt durch den sogenannten Islamischen Staat erfahren haben".
Dann kam Blume zur Sache: Was ist Antisemitismus? Warum gibt es diesen Hass? Warum schaffen wir Menschen es nicht, fair miteinander umzugehen?" Falls die Schüler dazu nur einen Satz mitnehmen" wollten, dann solle es dieser sein: „Das Judentum war die erste Religion der Alphabetisierung."
Ausgangspunkt des „Traums, dass wir in einer Welt leben, in der alle Menschen lesen und schreiben können. In der jeder Mensch, jedes Mädchen, jeder Junge die Chance hat, seine Begabung zu entfalten". Mit Emphase beschrieb er den daraus resultierenden, bis heute gültigen Bildungsbegriff, mit Beispielen quer durch 2.000 Jahre Menschheitsgeschichte. Das Besondere im Judentum sei, dass Alphabetisierung und Bildung religiöse Pflicht wurde". Paradoxerweise wurzle darin – im Grunde ein kollektiver Bildungsvorsprung – aber auch der Antisemitismus mit der Konstruktion: Die Juden sind so schlau, die sind so mächtig. Die kontrollieren alles. Banken, Parteien, Schulen, Medien." Das mache den Antisemitismus so „irre gefährlich“. Als historisches Beispiel nannte er die Ermordung hunderttausender Sinti und Roma durch die Nazis, die dem „Verschwörungsmythos" anhingen. „Die Juden haben die zu uns geholt“. Dass heute in Bezug auf Flüchtlinge von „Umvolkung" gesprochen werde, das sei „genau das Gleiche".
Wichtig sei, „zu erkennen, was macht es mit mir, wenn ich andere für Verschwörer halte“. Die Frage sei drängend, denn „Plattformen wie TikTok verleiten uns mit ihren Algorithmen dazu, dass wir hassen." Umso wichtiger sei es, „dass wir ein richtiges Leben haben, dass wir unserem Leben Sinn geben, Diskussionen führen, miteinander reden, lachen, weinen, uns umarmen. All das, was Social Media nicht kann. Medien sind toll", sagte Blume. „Aber wir müssen immer darauf achten, was sie mit uns machen.“ Und den ausführlichen, von den Jugendlichen engagiert betriebenen Frageteil, in dem Blume vieles variierte und vertiefte, beschloss er so: „Passt gut aufeinander auf."
Wie aber schauten Neuntklässler der Aurain-Realschule auf die Veranstaltung? Sahel hat „gelernt, dass man Juden akzeptieren sollte wie alle anderen Leute“. Eva kennt Antisemitismus „von TikTok". Jetzt weiß sie, dass man aufpassen muss, „dass man das nicht unterstützt“. Klara hat gelernt, wie breit gefächert der Hass gegen Juden ist". Ihr gefallt, „wie Herr Blume unterschiedliche Leute in seinem Team hat, damit sie zusammen immer wieder nachdenken über die Sachen". Beeindruckt hat sie, „wie er über Gaza und alle Unmenschlichkeit gesprochen hat". Bianca hingegen, wie Blume „seine Irak-Geschichte mit den geretteten Jesiden erzählt hat", was Serena aufgreift: „Es ist toll, dass ein Mensch so viel bewirken kann, weil er eine so starke Hoffnung hat“. Beide haben erkannt, „wie wichtig Freundschaften sind". Matthias Helmle, stellvertretender Schulleiter des Ellental-Gymnasiums, war froh, dass die Gaza-Sache nicht eskaliert ist", denn das sei in manchen Klassen „ein großes Thema". Blume habe die Thematik „mit viel Empathie behandelt". Die durchgängige Aufmerksamkeit führt er auch auf Blumes Glaubwürdigkeit zurück: „Man nimmt ihm ab, was er sagt", betont Heimle. Zwei weitere Aspekte seien wichtig: „Die jungen Leute wollen eine bessere Welt, fühlen sich aber hilflos." Eben habe er in einer Klasse darüber gesprochen, dass Fastfood-Ketten jetzt Veggie-Angebote haben: „Das kommt auch daher, dass ihr das wollt." In dieser Art habe Blume „deutlich gemacht, dass wir nicht hilflos sind, dass es auf jede einzelne Person ankommt“.
Quelle: GEORG LINSENMANN, LKZ.

